Eine Woche nach den ersten Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus in anderen deutschen Großstädten lud nun auch die Stadt Marburg zur öffentlichen Demonstration und Kundgebung ein.
Anlass waren – wie auch andernorts – die Ergebnisse der Correctiv-Recherche zu einem geheimen Treffen von Rechtsextremen in Potsdam, bei dem ernsthafte Phantasien um Massendeportationen in Deutschland wieder auflebten. Etwas, von dem man hierzulande hoffte, es nie wieder erleben zu müssen.
Bereits auf dem Weg zum Demo-Treffpunkt, dem Platz zwischen Audimax und Erwin-Piscator-Haus, strömten zahlreiche Menschen aus allen Richtungen über die Spazierwege am Lahnufer in die Stadt. Zu Fuß, mit dem Rad, im Rollstuhl – jedes Mittel war recht. Es tat gut, so viele Menschen unterwegs zu sehen, die allesamt für ein friedliches, offenes Miteinander einstehen. Nur Busse und Autos mussten das Gelände weiträumig umfahren, denn die Biegenstraße war voll gesperrt.
Zu Beginn der Demo um 15.00 Uhr waren bereits etwa 12.000 Menschen an diesem zentralen Ort zusammengekommen. Ursprünglich sollte sich ein Zug von Menschen durch die Stadt bis zum Marktplatz bewegen – angesichts der Massen von Teilnehmenden war daran aber kaum mehr zu denken.
Vor dem Erwin-Piscator-Haus war eine kleine Bühne aufgebaut. Nach etwas Live-Musik (Protestlieder der Band „ARKADEN“) sprachen u.a. Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, Sylvie Cloutier vom Ausländerbeirat der Stadt, Uni-Präsident Prof. Dr. Thomas Nauss und schließlich Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Elke Neuwohner. Zwischendurch sang Rose Letso Steinhoff „Bella Ciao“ – und zum Abschluss mit allen „We Shall Overcome“. Die gesamte Veranstaltung lief knapp über eine Stunde.
- OB Spies hielt ein Plädoyer für Offenheit und Demokratie, die es zu bewahren gelte.
- Cloutier erinnerte anlässlich des Holocaust-Gedenktags an die Befreiung von Auschwitz und dass alle Menschen Teil unserer Gesellschaft sind und gebraucht werden.
- Vertreter/innen des Kinder- und Jugendparlaments sprachen sich für mehr Anhörung und Mitbestimmung junger Menschen aus.
- Die Geschichtswerkstatt erinnerte daran, welche Personengruppen im dritten Reich ausgegrenzt und ermordet wurden, und äußerte Kritik an rechten Burschenschaften.
- Nauss betonte die Bedeutung von Vielfalt und Freiheit für die Wissenschaft.
- Neuwohner sprach allen Anwesenden Dank und Mut aus, die Zeichen des Rechtsextremismus ernst zu nehmen und entschieden gegen rechtes Gedankengut einzutreten.
Brauchte es zunächst etwas Zeit, um im Bühnenprogramm anzukommen und sich auf die Musik und Vorträge einzulassen, so erstarkte doch mehr und mehr das Wir-Gefühl. Zahlreiche Schilder und Transparente waren zu sehen. Eingeladen wurde auch zum Sprechchor „Ganz Marburg hasst die AfD“ sowie „Alle zusammen gegen den Faschismus“.
Eine besondere Stimmung vermittelte aber auch die ruhige und friedliche Zusammenkunft so vieler Menschen an zentraler Stelle in Marburg. Sonst vom Autoverkehr durchtrennt, entfaltete das Gelände wohl erstmals sein volles Potenzial.
Gegen 16.15 Uhr wurde die Demonstration von den Veranstaltern offiziell für beendet erklärt und löste sich ohne jegliche Zwischenfälle friedlich auf. Das gemeinsame Singen von „We Shall Overcome“ und „Bella Ciao“ mit Bühnenbegleitung entzerrte das Auseinandergehen. Die positive Stimmung wirkte auf dem meditativ zu Fuß angetretenen Heimweg noch lange nach.