103. Deutscher Katholikentag

Über das Fronleichnams-Wochenende lockte der diesjährige Katholikentag rund 40.000 Christ*innen und andere Interessierte in die thüringische Landeshauptstadt Erfurt.

Gerechnet hatten die Veranstalter nur mit 15.000 bis 20.000 Teilnehmenden, was angesichts der knappen Hotelzimmer, Gruppenquartiere und Privatunterkünfte nicht sehr verwunderlich war. Schulen und Turnhallen standen mangels Feiertag in Thüringen kaum zur Verfügung, und bereits vor einem Monat hatten die Erfurter Hotels nur noch Luxuszimmer ab 400 EUR pro Übernachtung im Angebot.

Doch wo ein Wille ist, ist bekanntlich auch ein Weg – denn die Vorstadt und umliegende Ortschaften wie z.B. Gotha, Weimar oder Ilmenau boten auch schöne Quartiere. So hatte ich das Glück, die Tage mit Claudia zusammen bei einer Bekannten in der Südvorstadt unterzukommen.

Mittwoch, 29. Mai 2024 – Anreise und Eröffnung

Bereits die Anreise mit der Deutschen Bahn vermittelte mir eine gewisse kirchliche Grundstimmung, da die Fensterflächen eines Waggons meines Regionalexpresses sehr großflächig mit bunten Graffiti verziert waren. Nach einem Umstieg in Frankfurt (Main) trudelte ich gegen 16:30 Uhr mit dem ICE im Erfurter Bahnhof ein und freute mich auf die erste gemeinsame Erkundung der Stadt.

Vom Bahnhof aus war der Fußweg zum Domplatz bereits gut ausgeschildert – und zahlreiche Katholikentags-Helfer*innen sowie ehrenamtliche Mitarbeitende der Bahnhofsmission säumten den Weg. Freundlich und aufmerksam standen sie bereit, um alle weiteren Fragen zu klären.

Erfurt selbst wirkte im Sonnenschein auf den ersten Blick sauber, aufgeräumt und malerisch. Verspielt reihten sich barock verzierte Stein- und Fachwerkhäuser aneinander, ruhige Straßen mit breiten Fußwegen und schmale Gassen wechselten sich ab. Hier und da schlängelte sich die Gera als kleiner, verzweigter Fluss hindurch.

Um 18:00 Uhr gab es einen großen Eröffnungsgottesdienst auf dem Domplatz, bei dem u.a. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow und der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein jeweils ein Grußwort sprachen. Natürlich durften auch der katholische Bischof Ulrich Neymeyr vom Bistum Erfurt und der evangelische Landesbischof Friedrich Kramer von der Ev. Kirche in Mitteldeutschland nicht fehlen. Moderiert wurde die Eröffnung von Yvonne Willicks (WDR) und Daniel Heinze (Leipzig).

Danach ging es weiter mit dem „Abend der Begegnung“. Viele kleine Läden, Cafés und Gastronomie ließen das Leben spüren – zudem lockten die verteilten Stände und Bühnen des Katholikentags sowie viele offene Kirchen mit einem bunten Programm. Erschlagen von all der Vielfalt und dem doch etwas unübersichtlichen Abendprogrammheft und Stadtplan ging es für uns nach einer Thüringer Bratwurst aber schon gegen 20 Uhr auf den Weg ins Nachtquartier südlich von Erfurt, um Kraft zu sammeln für die nächsten Tage.

Donnerstag, 30. Mai 2024

Mit leichtem Regen startete am Donnerstag um 10:00 Uhr am Domplatz der Wortgottesdienst zu Fronleichnam. Mangels Feiertag in Thüringen sollte die Eucharistie erst am Abend gefeiert werden. Im Gottesdienst selbst wurde insbesondere das diesjährige Katholikentags-Motto „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ (Ps 37, 37b) näher ausgelegt.

Im Gewühl traf ich Hauke aus meiner Zeit in der Ev. Studierendengemeinde, der mit einigen weiteren ESG’lern und KHG’lern wieder als Helfer dabei war.

Bei einer Apfelschorle unter dem Schirmdach des benachbarten Biergartens hieß es anschließend den ersten Starkregen auszuharren, bevor es weiter zum Kabarett auf kleiner Bühne im Theater im Erfurter Westen ging. Dies sollte um 13:00 Uhr starten, doch dort endlich angelangt waren bereits eine halbe Stunde vor Beginn alle Plätze belegt. So wurde der nächste Starkregen im Theatercafé bei Himbeerkuchen und Cappuccino abgewartet.

Nächster Versuch: Kabarett um 15:30 Uhr mit Duo Camillo auf einer Bühne im Erfurter Süden, diesmal bewusst eine Stunde vorher angestellt – ein voller Erfolg! Unter dem Titel „Sundays for Future – Eine musikalische Revue für Kirchenbankkleber“ nahmen Physiker und Pianist Martin Schultheiß sowie Theologe und Sänger Fabian Vogt den christlichen Glauben reichlich aufs Korn – und machten zugleich Hoffnung für die Zukunft.

Im Augustinerkloster im Erfurter Osten gab es tagsüber eine Ausstellung zu Martin Luther, zu seinem Leben und Wirken zu bewundern. Und daraufhin folgte ganz in der Nähe ein köstliches Abendessen in einem syrischen Restaurant: Eine vegane Bowl mit gegrillter Aubergine, Zucchini, Falafelringen, Avocado, Paprika, Radieschen, Oliven, Tomaten, Rucola, Bockshornklee… Dazu Hummus-Dip und ein großes Glas „Ginger Ale“ zur Erfrischung. Jedes Stück ein wenig anders – ein wahres Erlebnis für die Sinne!

Frisch gestärkt, folgte ab 19:30 Uhr die „Nacht der Lieder“ mit der Simon & Garfunkel Revival Band (die dem Original in wirklich nichts nachstand – handgemachte Musik zum Mittanzen und Träumen), darauf Sarah Straub (mit ernsteren Liedern über das Erwachsenwerden und den Abschied von Menschen, die an Altersdemenz leiden) und zuletzt Clemens Bittlinger (christliche Lieder zum Mitsingen).

Der anschließende Abendsegen mit hunderten Kerzen rundete den Tag ab. Gegen 22:00 Uhr ging es auf ins Nachtquartier.

Freitag, 31. Mai 2024

Was machen Katholikentags-Besucher, wenn sie eine Schlange sehen? Sie stellen sich hinten an! – So startete der Freitag gegen 10:15 Uhr an der Alten Oper. Eine Viertelstunde später war Einlass zu einem Podium mit Dr. Robert Habeck (Grüne) zur „sozialökonomischen Transformation“, welches um 11:00 Uhr beginnen sollte. Es kamen allerdings nur noch wenige hinein – denn wer schlau war, hatte sich bereits anderthalb Stunden vorher zur Bibelarbeit zum Veranstaltungsort begeben. Pech gehabt!

So wurde es spontan Zeit für ein Alternativprogramm. In der benachbarten St. Crucis-Kirche ging es ab 11:00 Uhr um „Kirche als Resonanzraum“. Der Erfurter Soziologe Hartmut Rosa stellte hierzu zunächst sehr lebhaft und begeistert seine Resonanztheorie vor. Es folgte eine Achtsamkeitsübung und Orgelmusik, schließlich eine Diskussion: Demokratie braucht ein hörendes Herz; dazu braucht es Erfahrungsräume, an denen wir zur Stille finden und mit dem großen Ganzen in Verbindung treten können. Kirche kann so ein Raum sein, aber auch die Natur oder die Musik. Besonders in Krisen bedarf es dieser zauberhaften Erfahrungsräume, die neben der Resonanz mit Dingen, Menschen und uns selbst unsere Resonanzwelt komplett machen.

Am Nachmittag wurde ab 14:00 Uhr in der Alten Oper über das Thema „Frieden schaffen – auch mit Waffen?“ diskutiert. Ranghohe Vertreter aus Bundeswehr, Europa-Parlament, katholischer Kirche und Friedensforschung kamen ins Gespräch darüber, was Frieden bedeutet, was er uns wert ist, wie wir ihn verteidigen und dabei die Verhältnismäßigkeit wahren können. Die Moderation übernahm die Fernsehjournalistin Bettina Schön (ARD-Mittagsmagazin). Zum Schluss wurde zu Fragen aus dem Publikum Stellung genommen.

Um 16:30 Uhr lud die Augustinerkirche (am Augustinerkloster) unter dem Motto „Ist das Bibel oder kann das weg?“ zu einer Diskussion über den heutigen Wert biblischer Texte ein. Laut Psychologin Dr. Regina Arant sei der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland schon seit ca. 10-15 Jahren gefährdet; dies lasse sich an den sozialen Beziehungen, der Verbundenheit und der Gemeinwohlorientierung messen; sowohl sozial schwache als auch junge Menschen fühlten sich inzwischen jedoch regelmäßig abgehängt. – Kann da die Bibel helfen?

Theologin Dr. Anne Rademacher ging dieser Frage auf den Grund und lobte die biblischen Texte; es handle sich um Verliererliteratur, die von Minderheiten aufgeschrieben wurde und gerade deshalb auch heute noch ein idealer Hoffnungsträger ist. Weitere Redner/innen betonten den Wert der Bibel als ethische Richtschnur, gaben aber auch zu bedenken, dass die biblischen Texte immer wieder kritisch hinterfragt und überarbeitet werden müssen, damit sich jeder darin wiederfindet und niemand ausgegrenzt wird.

Am Abend stand ein Konzert eines Erfurter Gospelchors in der Schottenkirche auf dem Programm – doch diese war schon so gut gefüllt, dass eine Alternative her musste. In der Barfüßerruine war eine Stunde Worship-Chormusik zu hören. Es folgten mitreißende Pop-Klänge von Judy Bailey und Band auf dem Domplatz.

Im Dom hieß es dann „Orgel rockt“ mit Patrick Gläser. Draußen tobte inzwischen die junge Blaskapelle „Knallblech“ laut mit bekannten Pop-Songs und Lichteffekten. Schließlich klang der Tag gegen 22:00 Uhr beim Abendsegen und Kerzenmeer mit Judy Bailey aus.

Samstag, 1. Juni 2024

Neuer Tag, neues Glück! – Der Samstag startete gemütlich und beschwingt um 11:00 Uhr mit einem Chorkonzert der Mühlhäuser Gospelfreunde in der Schottenkirche. Zum anschließenden Friedensgottesdienst in der Kirche St. Lorenz war es allerdings zu knapp, so schlossen wir uns um 13:00 Uhr einem Chor-Flashmob vor dem Kirchentags-Shop am Anger an.

Ein kleiner Stadtbummel am Nachmittag führte über die Krämerbrücke, die links und rechts mit zahlreichen Läden und Fachwerkhäusern umgeben ist. Hier gab es z.B. gutes Eis und Schokolade, Kunst und Textilien, handgefertigte Teddybären oder auch einen Linkshänder-Laden. Drei Straßenmusiker untermalten das Geschehen mit Irish Folk auf zwei Gitarren, mit Rhythmusinstrumenten und Gesang.

Auf der Open-Air-Bühne am Anger traten den ganzen Tag über verschiedene Chöre auf, so z.B. das Ensemble Nova Cantica aus Gera. Die Nachmittagssonne hatte aber inzwischen reichlich zugelegt, so dass es allmählich wieder Zeit für etwas Schatten wurde.

Im Theater Erfurt begann um 16:30 Uhr ein Podium zu Israelis, Palästinensern und der deutschen Verantwortung. Unter Leitung der Politologin Dr. Muriel Asseburg lieferten die Referent/innen einen Überblick über den Israel-Palästina-Konflikt, dessen historische Hintergründe und mögliche Lösungsansätze.

Der Weg zurück in die Altstadt führte am Petersberg mit ehemaliger Kaserne vorbei. Von dort aus konnte man herab auf Stadt und Dom schauen. In der Peterskirche gab es eine Ausstellung von Thüringer Paradiesgärten bzw. Gartenparadiesen zu bewundern – und einen erneuten Regenschauer auszuharren.

Letzter geplanter Programmpunkt für diesen Tag war ein Konzertabend um 20:00 Uhr mit Wolfgang Abendschön & AKZENTE, dazwischen Worte von Pater Anselm Grün, in der Kaufmannskirche am Anger. Ein angenehmer Ausklang, zumal draußen bald ein sehr heftiges Gewitter tobte.

Der Abendsegen am Domplatz entfiel demnach witterungsbedingt. In der Kirche St. Severi waren dafür noch bis 23:00 Uhr die „FriedensLichter“ zu bewundern – bewegte Videoprojektionen im Kirchenraum von Lichtkünstler Philipp Geist (Berlin), dazu eine Klangkomposition als akustische Untermalung.

An dieser Stelle sei noch einmal die Kirchentags-App positiv erwähnt: Hier findet man leicht und schnell ein Alternativprogramm oder auch einen Live-Stream zu den großen Veranstaltungen. Die Gewitterwarnungen und Unterbrechungen der Open-Air-Programme wurden zudem über die App mit ausreichend Vorlauf angekündigt, so dass man gut umplanen oder am aktuellen Standort geschützt verweilen konnte.

Abschied am Sonntag, 2. Juni 2024

Am Sonntagmorgen hieß es zunächst einmal packen und den Rucksack in der zentralen Gepäckaufbewahrung am Hauptbahnhof abgeben. Wir bedankten uns bei unserer Quartierspenderin und machten uns auf in die Innenstadt.

Um 10:00 Uhr fand der große Schlussgottesdienst mit Eucharistiefeier auf dem Domplatz statt, wie üblich minutiös durchgeplant und mit Live-Übertragung im ARD-Fernsehen. Und entgegen aller Prognosen blieb der Himmel die gesamte Veranstaltung über trocken. Über 8.000 Leute waren am Domplatz versammelt.

Den Gottesdienst leitete Bischof Dr. Georg Bätzing aus Limburg. Musikalisch begleitet wurde er von „Klänge der Hoffnung“ aus Leipzig (ein großes Orchester mit Menschen unterschiedlichster Herkunft), dazu ein gemischter Kinder- und Jugendchor.

Noch einmal ging es um das Leitwort „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ des diesjärigen Katholikentages. In der Dialogpredigt mit Dr. Juliane Eckstein sprach Bätzing über den „Schatz in irdenen Gefäßen“ (2. Kor 4, 6-11) – eine Metapher für unser wie ein Tonkrug zerbrechliches Vertrauen zu Gott. Doch Paulus dreht diese Metapher um: Unser Vertrauen ist ein Schatz; Vertrauen schafft Gelassenheit in Bezug auf all unsere persönlichen Unzulänglichkeiten und Grenzen. Glaube könne nur im Modus der Zerbrechlichkeit bestehen – frei gewählt und ohne Zwang. Es bringt nichts, ihn in Form von Kreuzzügen anderen kriegerisch aufzubürden. Doch im Mensch des Friedens entfaltet er seine Stärke – er macht uns froh und schenkt uns einen langen Atem.

Am Gepäckaufbewahrungszelt am Bahnhof gab es zur Feier des Tages noch eine Pfingstrose zum Mitnehmen, dann ging es für jeden mit dem Zug zurück nach Hause. Die Erinnerungen an diese Tage werden noch eine Weile nachwirken – von der malerischen Altstadt und den zwischenmenschlichen Begegnungen, über die geistigen Impulse aus Politik und Wissenschaft (für mich insbesondere Hartmut Rosa), bis hin zur täglichen Thüringer Bratwurst, Verpflegung, Kunst und Musik.